PERSON
13. Jg. 2009, Heft l
Schwerpunktheft: Person- und kontextbezogene Arbeit mit älteren Menschen
Herausgegeben von Mark Galliker und Wolfgang W. Keil
Inhalt
Editorial
3
Fachbeiträge
Peter Elfner
Aktualisierungstendenz als
Entwicklungspotenzial, im Alter

5
Ulrich Pfeifer-Schaupp
Achtsamkeitsbasierte Kontaktarbeit -Prä-Therapie in der
Altenpflege
       
14
Penny Dodds
Prä-Therapie in der Demenzpflege

25
Maria Langfeldt-Nagei
Personzentrierte Gesprächsführung in der Ausbildung der Altenpflege      

30
Margot Klein
Personzentrierte Beratung von älteren Menschen und deren Angehörigen

40
Eilen Ensinger-Boschmann
Personzentrierte Gruppenarbeit mit demenziell erkrankten Menschen zur
Unterstützung des Selbstwahrnehmungs
und Bewältigungsprozesses            
54
Mark Galliker
Gesprächspsychotherapie mit einer älteren Frau

62
Rezensionen
Margarethe Letzet
lan Morton: Die Würde wahren. Personzentrierte Ansätze in der Betreuung von
Menschen mit Demenz. Mit einem Vorwort von Marlis Pörtner
(Original: Person-centred Approaches to Dementia Care. Bicester: Winslow, 1999)

77
Mariis Pörtner
Tom Kitwood: Demenz.
Der Personzentrierte Ansatz im Umgang mit verwirrten
Menschen
    
78
Reinhold Stipsits
Peter Elfner: Personzentrierte Beratung und Therapie in der Gerontopsychiatrie
 
79
Diether Höger
Luise Reddemann: Würde - Annäherung an einen vergessenen Wert in der Psychotherapie
80
Europäische Standards für personzentrierte und experienzielle Ausbildung & 
Das Europäische Zertifikat für Personzentrierte und Experienzielle
Psychotherapie und Beratung 
83
Editorial

Im Zentrum des vorliegenden Heftes stehen konkrete Erfahrungen von gerontologischen Fachleuten, die seit Jahren mit betagten Personen und ihren Angehörigen sowie mit deren professionellen Bezugspersonen arbeiten. Es handelt sich im Wesentlichen um Berichte aus der psychosozialen Praxis, zu der die zugehende Beratung, die biografische Begleitung und die Leitung von Erlebnisgruppen gehören. In therapeutischer Hinsicht bietet sich bei betagten Menschen mit ausgeprägter Demenz die Prä-Therapie an. Bei älteren Personen mit beginnender Demenz oder anderen Problemen sind eigentliche Gesprächspsychotherapien möglich, wenn die Lebensverhältnisse der Klienten beachtet und die entsprechenden Ausgangsbedingungen wie die Notwendigkeit einer zugehenden Beratung oder zugehenden Therapie realisiert werden.

Das gesellschaftliche System war früher darauf angelegt, dass jüngere von älteren Menschen lernen. Das ist heute immer weniger der Fall. So sind auch die Berufstätigen im Altenbereich meistens jünger als ihre Klienten. Diese Umkehrung des traditionellen Ver­hältnisses erleben ältere Personen nicht selten als demütigend. Deshalb verdient das Thema Würde und Respekt vor der Autonomie der Person bei der Betreuung älterer Menschen spezielle Beach­tung. Ist es nicht gerade der Personzentrierte Ansatz, der hier seine besondere Wirksamkeit entfalten könnte?

Es gibt wohl keinen anderen Ansatz, mit dem so sehr die Ach­tung vor anderen Menschen intendiert wird wie der Personzentrierte Ansatz. Personzentriert arbeitende Berater und Therapeuten gehen bekanntlich nicht allein von den eigenen Vorstellungen aus, son­dern versuchen die Klienten in ihrer ganz persönlichen Eigenart und ihrem individuellen Erleben sensibel wahrzunehmen und zu verste­hen. Psychopathologische Diagnosen werden nicht überschätzt, im Gegenteil - gerade den von einem Außenstandpunkt aus als „ab­wegig“ eingeschätzten Verhaltensweisen wird Wertschätzung und Wärme entgegengebracht nicht zuletzt auch, weil sie oft Ressour­cen beinhalten, die sich produktiv umsetzen lassen. Achtung vor dem Anderen in der anderen Person bedeutet beispielsweise eben auch Interesse und Freude an einem anderen Leben im Hier und Jetzt, das ohne allzu einschnürendes rationales Korsett verläuft und zu Verdichtungen und Verschiebungen führt, die Quelle von Kreativität sein können, wenn sie von den Mitmenschen beachtet, aufgenommen, geteilt und verstanden werden.

Der Personzentrierte Ansatz scheint sich allerdings nur dann zu bewähren, wenn seine Protagonisten nicht blind sind für die ins­titutionellen Voraussetzungen, unter denen sie arbeiten. Andern­falls besteht die Gefahr, dass die vielzitierten Grundhaltungen eher präsentiert als beibehalten werden und zuletzt vielleicht sogar manipulative Züge annehmen. Wie schwierig es ist, unter bestimmten Rahmenbedingungen personzentriert zu bleiben und nicht plötz­lich, ohne es zu merken, „institutionenzentriert“ zu sprechen oder zu handeln, zeigt sich besonders deutlich in Beratungssituationen, in denen mit den älteren Personen zusammen Weichen für deren zu­künftiges Leben gestellt werden sollen (z. B. bei Entscheidungspro­zessen, in denen die zukünftige Wohn-und Lebensform eruiert wird).

Bei allen personzentrierten Begegnungsformen mit älteren Menschen scheint nicht nur entscheidend zu sein, dass die pro­fessionelle Bezugsperson tatsächlich von den Bedürfnissen und Gefühlen der Klientin oder des Klienten ausgeht, sondern dass sie sich auch auf den Kontext bezieht, in dem die Betreuungen, Be­ratungen oder Therapien erfolgen. Zur Personzentriertheit gehört nicht zuletzt auch, dass die Klienten so akzeptiert werden, wie sie sind. Es kann nicht darum gehen, betagte und hochbetagte Men­schen in ihren Verhaltensweisen oder gar in ihrer Persönlichkeit zu verändern, sondern es ist wichtig, sie so zu belassen, wie sie sich verhalten können und wie sie sind. Das heißt: Die Wahrung der Per­sönlichkeit, ihrer Würde und ihrer Rechte verlangt einen Bezug zum Kontext. Diesen gilt es zu hinterfragen und allenfalls zu verändern, wenn er den Bedürfnissen der Person nicht mehr entspricht und ihr nicht länger erlaubt, so weiterzuleben, wie sie es selbst möchte.

Mit den vorliegenden Studien zur „person- und kontextbezo­genen Altenarbeit“ werden einerseits die Vorteile des Personzen­trierten Ansatzes bestätigt und andererseits wird auch auf kontextuelle Probleme und Hindernisse bei dessen Ausübung hingewiesen. Die Praxisberichte finden Ergänzung durch qualitative Begleitstu­dien zur Betreuungsarbeit sowie zur Ausbildung der Pflegekräfte, in denen die psychosoziale Praxis reflektiert wird und Möglichkeiten wie auch Grenzen personzentrierter Beratung und Betreuung dis­kutiert werden.

Das vorliegende Heft enthält sieben Artikel. Die ersten vier befassen sich mit psychiatrischen und stationär-pflegerischen Bereichen und die letzten drei mit ambulanter Beratung, Gruppen­arbeit und Einzeltherapie. Die angesprochenen Probleme stellen sich in jedem Gebiet etwas anders dar und verlangen deshalb auch verschiedene Zugangs- und Verständigungsweisen. Mit dem vor­liegenden Heft wird ein zunehmend wichtiger Bereich für Psycho­therapie und Beratung mit älteren Menschen allgemein und für den Personzentrierten Ansatz im Besonderen aufgegriffen.

Mark Galliker und Wolf gong W. Keil